Non, je ne regrette rien...

Aus meinen Lautsprechern dringt eine rostige, tiefe Frauenstimme, die mir immer wieder das Herz aufreißt, mit jedem Ton. Die Rede ist von Edith Piaf, der Ikone des französischen Chansons.

 

Ich verliebte mich spontan vor drei Jahren. Ich hörte dieses Lied das erste Mal bewusst in einer düsteren, melancholischen Nacht und fühlte mich so allein wie noch nie, während ich von lauten, lachenden Menschen umgeben war. Vielleicht kennt ihr dieses Gefühl. Man ist auf einem Konzert, auf einer Party, unter Leuten und alles um einen herum bewegt sich, bunt, hysterisch und laut. Du sitzt da und siehst alles wie in einem Film, aus deinem Vakuum heraus, als säße man in einer Blase. Und fühlst eine Stille in dir, die sich nicht mit dieser neongrellen Realität vereinbaren lässt. Das sind gute Momente, um sich in die Stimme von Edith Piaf zu verlieben.

 

Edith ist der Prototyp der unverstandenen Seelen. Wenn du 1915 auf die Welt kommst, deine Mutter Prostituierte und dein Vater Artist ist, wächst du nicht mit dem goldenen Löffel im Mund auf. Luxus hat sie in ihrer Jugend höchstens in den Champagnergläsern ihrer Zuschauer beobachten können, die in den Varietes auf den Tischen im Scheinwerferlicht funkelten, während Etith auf der Bühne stand und ein Lied nach dem anderen singen musste. Not so nice. Um das Ganze mal abzukürzen: Sie wurde entdeckt gefeiert,verehrt und reich. Während ihre Seele immer dunkel und grau blieb. Sie trank wie ein Loch, war beziehungsunfähig und hangelte sich von einem Mann zum Nächsten. Während sie in der Presse und von Verehrern mit Blumen und Lob überhäuft wurde, begann sie aufgrund eines Autounfalls morphinabhängig zu werden. Und dann ist sie 1963 gestorben, nach einem Zusammenbruch auf der Bühne.

 

„NON, JE NE REGRETTE RIEN.

C'est payé, balayé, oublié

Je me fous du passé!“

 

Sie singt, sie bedaure nichts, sie hätte bezahlt, alles weggefegt und vergessen. Mit der Vergangenheit abgeschlossen.

Ein bisschen ironisch sind die Zeilen ihres berühmtesten Liedes schon. Wenn man bedenkt, das ihre Stimme ihr ganzes Leben den Schmerz ihres Seins widergespiegelt hat. Und wie es so bei ihr lief.

Vielleicht hat es deswegen auch zwischen ihr und mir gefunkt. Ich habe eigentlich eher die Tendenz, Musiker nicht zu verehren. Ich mag dieses Gefühl nicht, jemanden anzuhimmeln. Eventuell bin ich zu stolz dafür. Aber bei Edith ist das was anderes. Mal abgesehen von der Stimme, die für immer unerreichbar zu sein scheint: Ich finde den Gedanken tröstlich, dass auch Schmerz produktiv sein kann.

Wie oft ist man im Alltag auf der ultimativen Suche nach dem Zustand: „Es geht mir gut“. Ich verstehe manchmal überhaupt nicht, wie sich das anfühlen soll. Wie da so der Idealzustand ist.

Was ich allerdings weiß ist, was man nicht tun sollte, wenn man glücklich sein will: Pessimistisch, rachsüchtig, dick, zweifelnd, leise, introvertiert, depressiv, unsportlich, faul oder zu nachdenklich. Und vor allen Dingen nicht zu viel zu Hause sein, aktiv ist hier das Schlagwort. Sagt witzigerweise das Fernsehen, Instagram, Zeitschriften und überhaupt das ganze Internet, was an sich ja schon eine Farce ist. Denn diese Dinge konsumiere ich ja vorzugsweise von zu Hause aus und bin dann gar nicht „aktiv“. Megaunlogisch. Und das ist ja erst der Beginn des Problems.

Ich bin gerne allein. Besonders Zuhause. Und ich bin gerne nachdenklich. Und sehr, sehr rachsüchtig, zweifelnd und auch manchmal leise. Ich ziehe meine Inspiration für Vieles aus diesen Gefühlen. Die Beschäftigung mit diesen Emotionen sind ein Teil von mir, machen mich komplett, machen mich „aktiv“. Meine besten Songtexte sind die Traurigen und ich wühle mich gerne in dieses Wirwarr, in die Fragen ohne Antworten, um Etwas zu finden. Wenn ich wütend bin und viele sagen: „komm drüber hinweg“ oder „sei nicht so rachsüchtig, dass bringt doch nichts“, denk ich mir: „Nö“. Weil ich es als konsequent empfinde, auch negative Gefühle intensiv zu empfinden, dass macht mich oftmals loyaler als Andere und zu einem Menschen, der meint was er sagt.

Es ist nicht immer angenehm. Und ich bin auch süchtig nach Lachen und Tanzen und Menschen, die mich glücklich machen. Nach flauschigen, kleinen Tieren, die mein Herz erwärmen oder einem klärendem Gespräch, dass die Seele erleichtert und einen froh macht. Oder draußen Sein, mit Wind im Haar, an der Hand meines Lieblingsmenschen. Liebe gute Partys, neue Leute kennenzulernen und Zugehörigkeit. Und bin dann besonders gern laut.

 

Aber das ist halt nicht immer so. Und ich mag mich auch nicht zu diesem Gemütszustand zwingen, nur weil ich glaube, so müsste es sein und Andere würden es von mir erwarten.

 

Daher halte ich es so: An den Tagen, wo ich zuhause sitze, es mir richtig mies geht und ich weine, tobe, still oder leer bin, weiß ich Folgendes: Ich atme tief durch, Musik erklingt. Und die traurige, dunkle Stimme von Edith Piaf flüstert mir ins Ohr, dass es okay ist. Es nichts zu bereuen gibt, alles bezahlt, weggefegt und vergessen sei. Und falls nicht, sei es auch nicht so schlimm. Und dann geht es mir gut.

 

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