Die Rauheit der Nacht

Wir stehen am Geldautomaten. Abends um zehn. Es ist Freitag.

„Uuuuund, zu welcher Szene gehört ihr so?“ Sie ist klein, vielleicht 1,60, schlank, lange,braune Haare. Ihr lächelnder Mund gibt eine blinkende Zahnspange frei, hübsch wäre sie, wenn ihr Gesicht nicht schon vom Inhalt der Wodkaflsche zu einer Fratze verzogen wäre, die sie in der Hand hält. Obwohl das Wort „halten“ schon fast übertrieben ist, denn allein die Flasche scheint ihren betrunken-wankenden Körper so auszubalancieren, um sie stehen zu lassen . Sie lässt sich von mir auf zwanzig schätzen, ist maximal 17.

Wir ziehen weiter.

„Dominique, du F...(-das erspar ich mir jetzt-), hast du dich von dem auch in den …. (-ihr könnts euch denken-) lassen??????“ grölt es von unserer rechten. Ein offensichtlich sehr korpulentes Mädchen schreit, umgeben von einem Trupp Begleiterinnen, wütend in ihr Handy. Schön diese Whatsappnachrichten. Dominique wird sich am nächsten Morgen sicherlich über diese Nachricht freuen.

Wir lachen, leicht beschämt.

Vor uns ein Rudel Jungs, pöbelnd, schreiend, schubsend, mit Aufforderung zum Streit im Blick. Die wippenden Fellkragen ihrer Parkakapuzen erinnern an ein Rudel Lemminge, die dem Ruf des Alkohols folgen.

Auf in die Nacht.

Den Weg der Jungs kreuzen drei Alter-nicht-definierbarer- Mädchen der Sorte „gleich“: Alle schwarze Leggins, alle schwarze Shirts, schwarze Lederjacken und braune, lange Haare. “Döpdöpdöpdödödöpdöpdöp!“ schallt es uns entgegen. Sie wirken hungrig, provokativ und gleichzeitig so verletzlich. Denn zwischen ihren Gesängen wandern ihre Blicke analytisch über jeden, der ihren Weg kreuzt. In der Lautstärke ihres Gegröles scheint ein Schutzschild zu liegen, der sie vor Anmachen und noch lauteren Menschen schützt.

Die Nacht ist rau.

Kurz hinter dem mexikanischen Restaurant sitzt, angelehnt an die kalte Häuserwand, ein Mann. Die zwei eingerissenen Alditüten und sein verschmutzter Trekkingrucksack, gepaart mit seinem bittenden Blick, erzählen in nur einer Millisekunde seine Geschichte. Er verschwimmt fast in der Fassade der Häuserreihen, der Plastikbecher vor ihm enthält blinkende Münzen, vielleicht für ein Bier, oder zwei.

Wir beschleunigen unseren Schritt.

Wir sind zu fünft, laufen im Schein der Straßenlaternen, den Lichtern der Stadt, die Altstadt herunter.

Es ist voll, überall junge Menschen, ich fühl mich alt, lächerlich, weil das totaler Quatsch ist und trotzdem irgendwie beschwingt. Denn die Nacht ist jung und ich erwarte ein Abenteuer. Mindestens.

Wir wandern herab, denn das was unsere Stadt feiertechnisch hergibt, ist tatsächlich ein Hügel. Stück für Stück geht es von Club zu Club, von Gespräch zu Gespräch, von Drink zu Drink, immer tiefer in den Dschungel der Nacht, es ist kalt, warm und unwirklich.

Mit jeder Stunde scheint sich die Stimmung  zu verändern. Es wird lauter, greller. Benebelt von den Stimmen, zwei Caipirinha, blinkenden Pailetten an Highheels, Farben und Menschen und scheppernder Musik, die sich zu einer nicht-definierbaren Klangdecke vermischt, starre ich in die flackernde Straßenlaterne.

Was macht die Nacht mit den Menschen?

Es scheint eine Suche zu sein, nach einem besonderen Moment. Es ist nicht das Treffen von Freunden, das Trinken oder das Hören der perfekten Musik. Menschen werfen sich in Schale, zeigen sich ausgelassen, um etwas zu erleben, wovon keiner wirklich weiß, was es ist.

„Man geht weg“, heißt es. Ich frage mich, ob es das nicht am besten beschreibt. Die Röcke werden kürzer, das Hemd schicker, die Haare gestylter, Alkohol macht lauter, fröhlicher, freier. Scheinbar. Man geht weg vom Alltag, weg von seinem oft unsichtbaren Äußerlichen.

Und das ist doch eigentlich eine Farce, denn wir wollen uns doch echt begegnen. So wie wir sind, gefunden werden. Authentisch.

Und vielleicht ist die Nacht deswegen so rau, weil wir wissen, dass der Morgen uns wieder mit der Wirklichkeit begegnet, mit der Realität, der Arbeit, mit dem Zwang der Konformität, mit der Kälte des Müssens. Und daher nutzen wir die Nacht, um zu tanzen, bis uns die Luft wegbleibt, zu trinken, bis wir vor Lachen nicht mehr können und so auszusehen, als würden wir für immer von innen strahlen.

 Die Nacht ist rau. Aber vielleicht ist sie auch ein Versprechen an uns selbst. Um uns Platz zu lassen zwischen dem, was der Alltag von uns will und dem, was wir uns an Abenteuern versprechen. Mindestens.

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